Wie verändert sich Sprache, und was bedeutet das für das Lernen von Fremdsprachen?

Studien zeigen, dass es in der Welt der Sprachen turbulent zugeht und dabei nicht alle Entwicklungen positiv sind. Was die Fachbereichsleiterin für Fremdsprachen, Dr. Cassandra Spaan, über dieses Thema denkt, und wie die Volkshochschule Wege bereitet, um Menschen mit Legasthenie das Erlernen von Fremdsprachen zu ermöglichen oder zu erleichtern, hat sie im Interview erklärt.

Die Welt scheint zu schrumpfen – zumindest aus europäischer Sicht, und wenn man Ludwig Wittgenstein beim Wort nimmt. Denn neben sein berühmtes Zitat „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ lassen sich Ergebnisse europaweiter Studien stellen, die besagen, dass der Wortschatz der Menschen sinkt – einschließlich der der Muttersprache. „Die Schweiz ist bei diesen internationalen Studien außen vor“, merkt Dr. Cassandra Spaan an, die an der Volkshochschule Mönchengladbach den Programmbereich Fremdsprachen leitet. Über die Gründe dafür, dass immer mehr Menschen mit
immer weniger Wörtern kommunizieren, kann auch sie nur spekulieren: „Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass es auch mit der Digitalisierung zusammenhängt. Die Kinder spielen viel digital, aber reden weniger miteinander.

Sich mit etlichen Lernangeboten gegen den Trend stemmen

Spaan ist bei der Auseinandersetzung mit diesem gesamtgesellschaftlichen Phänomen wichtig, dass die Debatte nicht in ein „entweder-oder-Schema“ kippt und Fremdsprachen lernen und das Erwerben und Fördern von Muttersprache gegeneinander ausgespielt werden. Zumal die Volkshochschule sowohl Möglichkeiten bietet, Fremdsprachen zu lernen als auch muttersprachliche Kompetenzen in beispielsweise Rhetorik-, Schreib- und Literaturkursen zu verbessern. Wer sich für Fremdsprachen interessiert, der kann sich an der Volkshochschule unter anderem in Kurse für Chinesisch, Japanisch, Norwegisch, Portugiesisch, Arabisch und natürlich Englisch und Französisch einschreiben. Die Gründe, aus denen es sich lohnt, Teile seiner Freizeit in das Erlernen einer für einen selbst neuen Sprache zu investieren, sind unterschiedlich: „Zum Teil sind es berufliche Gründe, einige wollen bei einer geplanten
Reise besser zurechtkommen. Wieder anderen geht es darum, Literatur im Original zu lesen“, weiß Spaan. So manche*r hat sich neben einem fremden Wortschatz und der Grammatik auch in ein anderes Schriftsystem vertieft und beispielsweise Japanisch gelernt. Der Lohn: Mangas (populäre Comics aus Japan) nicht nur generell im Original lesen zu können, sondern auch Comic-Bücher zu lesen, die gar nicht als deutsche Übersetzung vorliegen. So anspruchsvoll das Lernen und spätere Lesen von japanischen
Comics zweifelsfrei ist, so bieten sie doch einen Vorteil: Es sind größere Geschichten in kleinere Texthappen portioniert, die sich gemeinsam mit oft aufwändigen Zeichnungen zu einem Ganzen fügen. Wer jedoch beispielsweise Herman Melvilles „Moby Dick“ im Original lesen möchte, muss den grimmigen Captain Ahab und seine verbissene Jagd auf den weißen Wal komplett durch Wörter und im Kopf zum Leben erwecken.

Mit dem „GER“ wissen, wo man in der Fremdsprache steht

Für so einen Klassiker der Weltliteratur, der nicht nur komplex und kompliziert, sondern auch alte Vokabeln und etliche nautische Fachwörter beinhaltet, sollten Fremdsprachenlernende
die Stufe C1 oder sogar C2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) erreicht haben. Seit der Veröffentlichung des GER im Jahr 2001 skaliert er das Lernen und Lehren von Fremdsprachen. Dabei werden drei Stufen unterschieden, die jeweils untergliedert sind. Das A-Level umfasst mit den Stufen A1 und A2 die sogenannte „Elementare Sprachanwendung“, während das B-Level (B1 und B2) für eine „Selbstständige Sprachanwendung“ steht und das C-Level eine „Kompetente
Sprachverwendung“ definiert. Die Themen, über die Sprachlernende sprechen können und Situationen, die sie sprachlich meistern können, gewinnen mit jeder Kompetenzstufe an Komplexität und werden auch abstrakter. Auf dem A-Level sprechen die Teilnehmenden über sich und Dinge aus ihrem vertrauten Umfeld. Innerhalb des B-Levels machen Sprachlernende einen gewaltigen Sprung: Mit B1 können sie unter anderem bereits über die Vergangenheit oder Pläne in der Zukunft sprechen, auch diskutieren
und ihre Meinung begründen. Auf der Stufe B2 steigen die Anforderungen an den Wortschatz sprunghaft an. Hinzu kommen Redewendungen, die als feste Verbindung eine eigene Bedeutung haben, die sich in einer wortwörtlichen Übersetzung nicht erschließt. Die Themen werden abstrakter und die Texte komplexer. Wer B2 bestanden hat, könnte dem Unterricht an einer nicht-muttersprachlichen Berufsschule folgen. Das Bestehen einer C1-Prüfung würde für ein Studium im Ausland genügen. Wer C2 besteht, kann die erlernte Fremdsprache unterrichten. Eine C2-Prüfung gleicht durchaus einem Kolloquium und stellt letztlich auch mehr dar als eine reine Sprachprüfung: Das Bestehen setzt neben einem sehr umfassenden Wortschatz und hervorragenden Grammatikkenntnissen die Fähigkeiten voraus, sich abstrakte Themen analytisch zu erschließen und so gewonnene Standpunkte strukturiert zu präsentieren.

Neuerungen im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen

Doch auch der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen ist nicht in Stein gemeißelt. Knapp zwanzig Jahre nach seiner Veröffentlichung erhielt er mit dem „Begleitband zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen“ eine Aktualisierung und Ergänzung. „Insgesamt hat man die Anforderungen gesenkt“, fasst Spaan eine wichtige Veränderung zusammen und erklärt die Hintergründe: „Die Überlegung dahinter sind die Fragen: Drückt man sich fehlerfrei aus? Oder kann man kommunizieren?“ Wie sich diese Veränderung auf Fremdsprachenlernende auswirkt, die auf das Sprachniveau von akademischen Muttersprachler*innen angewiesen sind, wird sich in Zukunft zeigen. Trotz heruntergeschraubter Anforderungen setzt das Erreichen der höheren Stufen des GER viel Lernen voraus. Um den somit langen Weg möglichst von unnötigen Stolpersteinen frei zu halten, haben die Lehrkräfte den Unterricht in den letzten Jahren stark verändert. „Unterschiedliche Lerntypen, Talente und Ausprägungen finden heute viel mehr Berücksichtigung“, erklärt Spaan. In einem Kursraum nehmen für gewöhnlich nicht mehr als sechs bis 14 Teilnehmende Platz, die Gruppen sind somit klein. Das ermöglicht nicht nur eine bessere und individuelle Betreuung durch die Lehrkräfte, sondern erhöht auch die Sprechanteile jedes einzelnen Teilnehmenden. Dennoch fallen im klassischen Fremdsprachenunterricht – sei es an der Volkshochschule oder an Regelschulen – immer noch Lernende durchs Netz.

Fremdsprachen lernen trotz Legasthenie

Obwohl sie sich bemühen, schaffen es Vokabeln und Grammatik nicht ins Gedächtnis oder werden nicht verstanden. Ein möglicher Grund hierfür kann Legasthenie sein. Bei aller Kreativität und Abwechslung, auf denen moderne Fremdsprachendidaktik basiert, finden solche Lernbeeinträchtigungen noch keine flächendeckende Berücksichtigung. Spezialmaterial gibt es längst nicht für jede Fremdsprache oder nur begrenzt. „Entsprechendes Lernmaterial für Spanisch ist zum Beispiel oft nur für Kinder geeignet“, hat Spaan festgestellt. Dennoch gibt es Konzepte, die auch jugendlichen oder erwachsenen Lernenden den Erwerb einer Fremdsprache erleichtern können. Das Interesse daran sei bei den Dozentinnen und
Dozenten hoch, sagt Spaan. Sie schult VHS-Lehrkräfte, bevor diese Teilnehmende mit Leserechtschreibschwäche unterrichten sollen. Betroffene Teilnehmerinnen und Teilnehmer können sich für ein Erstgespräch an Spaan wenden. Dazu sollten sie Unterlagen wie Diagnoseergebnisse mitbringen. Cassandra Spaan: „So können Stärken und Schwächen und Wege und Mittel, um besser lernen zu können, besprochen werden.“

Um auf dem Laufenden zu bleiben, können Sie sich für unseren Newsletter anmelden.

Kontakt

Volkshochschule Mönchengladbach

Lüpertzender Straße 85
41061 Mönchengladbach

Am Sonnenhausplatz

Telefon 02161 256400
vhs@moenchengladbach.de
WhatsApp 0173 6196068

Servicezeiten

Mo 09–13 + 14–16 Uhr
Di 09–13 + 14–16 Uhr
Mi 09–13 + 14–16 Uhr
Do 09–13 + 14–16 Uhr
Fr 09–13 Uhr