Die Mobilität innerhalb Europas nimmt zu. Im Interview mit Cleopatra Altanis, Programmbereichsleiterin Deutsch, Integration und Alphabetisierung, wird deutlich, was das für die Integrationsarbeit an der Volkshochschule bedeutet und welche Herausforderungen und Chancen sie mit sich bringt.
Laut dem Statistischen Bundesamt fiel der Wanderungsüberschuss im Jahr 2022 mit 329.000 mehr Zuzügen als Fortzügen über viermal so hoch aus wie im Vorjahr. Insgesamt wurden 2022 rund 2.666.000 Zuzüge und 1.204.000 Fortzüge über die Grenzen Deutschlands erfasst. Dies ist
die höchste bisher registrierte Zuwanderung eines Berichtsjahres seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1950. Diese Zuwanderungstrends spiegeln sich auch im Bereich Integration der VHS Mönchengladbach wider. 2022 haben sich hier 2.866 Personen für die Integrationskurse
angemeldet. Die VHS-Statistik zeigt, dass etwa 32 % der Integrationskurs-Teilnehmenden aus Europa kommen, ca. sieben Prozentpunkte davon aus der Ukraine, so machen sie fast ein Drittel der kompletten Teilnehmenden aus. Cleopatra Altanis erlebt die Herausforderungen, die mit diesen Zahlen einhergehen, täglich in ihrer Arbeit an der Volkshochschule. Durch das Gespräch mit ihr möchten wir Ihnen einen Einblick in die Integrationsarbeit geben.
Die Medienlandschaft ist durch die exponentiell gewachsenen technischen Möglichkeiten sehr schnellen Veränderungen unterworfen und brauche daher ständige Beobachtung und immer wieder ein Ausprobieren, schildert Huynh weiter. „Allein das Beispiel der Künstlichen Intelligenz in Form von ChatGPT zeigt, wie rasend schnell sich die Medienlandschaft verändert und welchen enormen Einfluss das auf unseren Alltag und Beruf hat“.
Fr. Altanis, was bedeutet Mobilität in Bezug auf Integration?
Wanderungsbewegungen resultieren aus verschiedenen Ursachen. Diese reichen von der Flucht über den Familiennachzug bis zur selbstbestimmten Mobilität in Beruf und Bildung. Dabei stellt die Mobilität innerhalb der EU eine besondere Form dar. Sie ist eine der wichtigsten Errungenschaften der europäischen Integration. Unionsbürgerinnen und -bürger dürfen sich innerhalb der EU nicht nur frei bewegen und aufhalten, sondern auch in einem anderen Mitgliedstaat einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Zuwanderung birgt Herausforderungen und Chancen für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Die Aufgabe der VHS ist, mit ihrem Bildungs- und Beratungsangebot den Migrationsprozess zu begleiten und berufliche und gesellschaftliche Teilhabe zu erleichtern.
Wie ist die aktuelle Situation an der VHS MG im Bereich Integration?
Die steigende Nachfrage macht sich auch an der Volkshochschule Mönchengladbach bemerkbar – sie übersteigt das Angebot. Von Januar bis September 2023 wurden bundesweit bereits mehr Asylanträge gestellt, als im gesamten Jahr 2022. Darunter sind nicht nur Schutzsuchende aus der Ukraine. Deutliche Anstiege sind auch aus Syrien, Afghanistan und der Türkei zu verzeichnen. Wenn auch moderater, ist darüber hinaus auch eine Zuwanderung aus den EU-Ländern Rumänien, Polen und Bulgarien zu verzeichnen. Doch der Fachkräftemangel ist auch in der VHS bemerkbar. Leider gibt es nicht genügend qualifizierte Lehrkräfte, um mehr Kurse einzurichten und somit den Bedarf zeitnah zu decken. Teilnehmende müssen mehrere
Wochen warten, um einen Platz im geeigneten Kurs zu erhalten.
Mit welchen Herausforderungen/Fragen kommen Migrant*innen zu der VHS? Sind diese sehr unterschiedlich?
Unabhängig von Herkunft oder Zuwanderungsstatus haben alle ein gemeinsames Anliegen: sie möchten bzw. müssen die deutsche Sprache lernen und sich in ihrem neuen Lebensumfeld zurechtfinden. Oft aber beeinflussen zusätzlich vielfältige Problemlagen die schnelle und erfolgreiche Integration in die neue Heimat: durch Kriegs- und Fluchterfahrung verursachte Traumata, Sorge um die zurück gelassenen Familienangehörigen, Heimweh, gesundheitliche
Probleme, finanzielle Sorgen, kulturelle und religiöse Unterschiede, Schwierigkeiten beim Verständnis der Strukturen und erforderlichen Abläufe im neuen Land wie Orientierung in der Stadt, Behördengänge, Wohnungssuche, Schulbesuch der Kinder, Arbeitsaufnahme, Versicherungen oder Verträge.
Gibt es einen Unterschied zwischen Integration von Menschen aus Europa und Nicht-Europa?
Sprachliche, kulturelle, geschichtliche, politische und religiöse Kriterien sowie die nationale aber auch persönliche Werteorientierung sind durchaus Faktoren, welche die Eingliederung in die neue Gesellschaft beeinflussen. Eine Person aus einem industriell geprägten europäischen
Herkunftsland, welche eine gewisse Grundbildung durch den Besuch der Regelschule vorweisen kann, dort die lateinische Schrift und eine Fremdsprache gelernt hat, frei und gleichberechtigt in einer demokratischen Ordnung gelebt hat und uneingeschränkt mobil sein kann, bringt andere Erfahrungen und andere Voraussetzungen für eine reibungslose Integration mit als eine Person aus einem autoritären Drittstaat, die ländlich gelebt hat, geringfügig oder gar nicht die Schule besuchen konnte, wenn überhaupt eine andere Schrift als die lateinische beherrscht und keine andere Mobilitätserfahrung hat als die aktuelle Zuwanderung nach Deutschland.
Welche Erfolge erzielt die VHS durch ihre Integrationsarbeit?
Der größte Erfolg ist die Zufriedenheit unserer Teilnehmenden, die nach ihrem ersten Kurs an der VHS in den meisten Fällen weiterführende Angebote in Anspruch nehmen. Sehr oft empfehlen sie uns auch ihren Familienangehörigen oder Freunden. Knapp 60 % unserer Teilnehmenden erreichen beim kursabschließenden Deutschtest das B1-Niveau, über 50 % erreichen das B2-Niveau, was im bundesweiten Vergleich sehr gute Quoten sind. Mit der Berufsberatung helfen wir Zugewanderten, die Qualifizierungen aus ihrer Heimat für den deutschen Arbeitsmarkt nutzbar zu machen und hier einen adäquaten Beruf zu ergreifen.
Zudem bietet die VHS Kurse zur Stärkung der beruflichen Kompetenzen und Vermittlung von Fremdsprachen an. In unserem Förderprojekt „BIF: Berufliche Integration von Frauen mit Migrationshintergrund“ übersteigt unsere erfolgreiche Vermittlungsquote in Ausbildung oder Beruf mit knapp 56 % bei weitem die vorgegebene Vorgabe von 30 %.
Vor welchen Schwierigkeiten steht die VHS bei der Integrationshilfe?
Zusätzlich zu dem Mangel an Fachkräften steigt der Beratungsbedarf nicht nur quantitativ. Auch qualitativ anspruchsvollere Begleitung der Teilnehmenden mit immer gravierenderen multiplen Problemlagen ist zunehmend gefordert. Eine Anforderung an den Programmbereich ist daher immer öfter, „nebenher“ Lern- und Verweisberatung, Einzelfallhilfe, Krisenintervention, Konfliktarbeit und Integrationsförderung zu leisten.
Haben sich Restriktionen oder Anforderungen verändert? Welche Maßnahmen fördern gezielt Mobilität?
Im Laufe der letzten Jahre wurden die geförderten Kurse des BAMF für immer neue Zielgruppen geöffnet. Seit dem 01.01.2023 können durch das neue „Chancen und Aufenthaltsgesetz“ mit sehr wenigen Ausnahmen fast alle Zuwander*innen und Geflüchteten teilnehmen. Dies steigert natürlich weiterhin den Bedarf, passende Angebote zu planen und durchzuführen.
Welche Aufgaben kommen möglicherweise zukünftig auf die VHS zu?
Es ist nicht abzusehen, dass die Zuwanderung nach Deutschland und Mönchengladbach in den nächsten Jahren abnimmt. Da die Krisenregionen der Welt leider immer weiter zunehmen, ist mit einem Zuwachs zu rechnen. Unter diesen Krisen sind nicht nur Krieg und Vertreibung zu verstehen. Wirtschaftliche Gründe und auch der Klimawandel werden dazu beitragen, dass viele Menschen nicht mehr in ihrer Heimat bleiben können und eine bessere Zukunft in Deutschland suchen. Hinzukommt, dass Deutschland angesichts des überall spürbaren Fachkräftemangels und der sehr angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt noch mehr als je zuvor offen für Zuwanderung sein muss. Die Zugewanderten benötigen jedoch solide Deutschkenntnisse und Unterstützung bei der Orientierung in der neuen Heimat und insbesondere auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Hier ist die VHS mit ihrem breit aufgestellten Angebot gefragt: Sprachförderung, soziale und berufliche Beratung, ergänzende Qualifizierung.
Welche Änderungen stehen an, die die Integrationsarbeit verbessern oder erschweren?
Der demographische Wandel und der Fachkräftemangel beschäftigen auch den Programmbereich Deutsch. Die Lehrkräfte werden älter und scheiden nach und nach aus.
Jüngere entscheiden sich oft für einen Quereinstieg ins Regelschulwesen. Die Kombination aus weniger Lehrkräften und steigenden Teilnahmezahlen stellt aktuell eine der größten Herausforderungen dar. Im kommenden Semester müssen wir uns darüber hinaus von unserer langjährigen Verwaltungskollegin Susanne Meurer verabschieden, die in den Ruhestand geht. Die Einarbeitung einer neuen Fachkraft in diesen sehr komplexen Themenbereich wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Die immer wieder neu formulierten Auflagen und Rahmenbedingungen für die Organisation und Durchführung der Kurse erschweren zusätzlich die Arbeit im Programmbereich. Trotz aller genannten Schwierigkeiten wird die VHS ihren öffentlichen Bildungsauftrag erfüllen und ihre soziale Verantwortung übernehmen, indem sie immer eine offene, neutrale und kompetente Anlaufstelle für jeden Ratsuchenden bleibt. Auch wenn das eigene Kursangebot nicht alle Bedarfe decken kann, nutzen wir unsere starken Netzwerkstrukturen, um immer das passende Angebot auch bei anderen Trägern zu vermitteln.
Das Team ist erreichbar unter vhs-deutsch@moenchengladbach.de. Unter
dieser Mailadresse können persönliche Termine vereinbart werden. Ich verweise aber auch gerne auf unsere offene Sprechstunde (ohne Termin), die jeden Dienstag ab 09:00 Uhr stattfindet. Unser Kurs- und Prüfungsangebot kann auf unserer Internetseite eingesehen werden www.vhs-mg.de.
Eine Übersicht aller Integrations- und Berufssprachkurse in Mönchengladbach gibt es unter www.minze-mg.de.
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